Paläogen, Neogen und jünger

Der achte November - In den Adelholzener Schichten

Der achte November
 
01.11.09: „was, die Aufschlussverhältnisse? Ja, das ganze Profil in den Adelholzener Schichten ist gerade aufgeschlossen! Vom unteren Assilinenmergel bis zu den Stockletten. Überhängend oder gefährlich ist auch nichts.“ Komisch, dass mein anderer Spezl vor Ort keine guten Funde vermeldete. Es sei angeblich gerade kein besonderer Aufschluss in den fossilreichen eozänen Schichten da. Die Freunde vor Ort hatten vielleicht nur Pech oder keine Lust. Wer weiß? Also muss ich mir selber einen Eindruck verschaffen. Gestern gab´s Ammoniten im Schnee und ich habe fürchterlich gefroren – Der Hals kratzt.

02.11.09: Am Sonntag sind die Kinder aus dem Haus und die Gelegenheit ist günstig. Ich werde auf jeden Fall einen Kontrollbesuch im Aufschluß machen. Die letzte Krabbe aus den Adelholzener Schichten ist schon sehr lange her! Vor lauter Ammoniten im Sommer und auch vor allem der schlechten Aufschlussverhältnisse wegen ist das Eozän auf der Strecke geblieben. Es ist sowieso ein Exkursionsziel für Tage, an denen in den Bergen Schnee liegt. Wenn die Jäger den Hirschen in Talnähe nachrennen und keinen Steinklopfer dulden.

05.11.09: Der Wetterbericht sagt am Wochenende regnerisch. Das sind bescheidene Voraussetzungen für die tonreichen Gesteine dort. Aber ich gehe auf jeden Fall! Man weiß es ja nie, wie es aussieht. Ich hoffe, mein Husten wird nicht schlimmer.

07.11.09: Morgen bricht der Föhn zusammen. Es soll Schauer geben. Schauer ist besser als Regen – ich gehe auf jeden Fall. Um 22.00 wird das Auto eingeräumt: Grabwerkzeug, Hämmer, Anorak, Gummistiefel….Es hat 3 Grad Plus. Hoffentlich schüttet es nicht in der Früh. Oder es schneit sogar? Ich informiere nochmals meinen Freund, dass ich auf jeden Fall da sein werde.

08.11.09: Um 9 Uhr geht’s los. Es nieselt. Die Teekanne ist voll, die Mittagsverpflegung vergesse ich vor lauter Aufregung – komischer Tag heute. Vielleicht liegt es an der Gesamtsituation im Oktober – turbulente Zeiten! Ein leichter Husten ist erträglich. Die Temperaturanzeige an der Apotheke im Nachbarort zeigt +2°C. Um 10 Uhr bin ich da. Zuerst muss ein längst fälliger Kontrollgang durch den Wald zu den alten Aufschlüssen sein. Die letzten zwei Jahre Regen und Frost haben die Ausbisse der interessanten Schichten schon fast wieder renaturiert. Das weiche Gestein ist ein idealer Nährboden für alles mögliche Grünzeug. Da sieht man, was man als einzelnes Menschlein ausrichtet – ein Wimpernschlag in der Erdgeschichte…
Inzwischen ist das Wetter passabel und ohne Niederschlag. Hohe Wolken und ein schneidender Wind sind unangenehm, aber nicht hinderlich! Gut, dass ich nicht daheim sitze!
Am Hang gehe ich Meter um Meter entlang und finde nicht recht den Aufschluss. Der kleine Hammer muss raus! Einige Ecken müssen angeschlagen werden – alles nicht das Richtige. Es bleibt nur noch eine Möglichkeit: links um die Ecke, wo frisch abgerutscht ist. Tatsächlich, hier könnte es sein: Hier steht Discocyclinenmergel an. Nach 5-minütiger Inspektion des Aufschlusses steht fest: dort, wo es wahrscheinlich die besten bzw. am häufigsten Krabben gibt, fließt der Hang in Form eines Schlammstroms herunter. Mal sehen…. Die Steine, die ich hineinwerfe, erinnern mich an einen Meteoriteneinschlag. Die größeren schleudern die Auswurfmassen 2 Meter weit. Man bleibt doch immer ein Kind, oder? Ich beschließe mich loszureißen und anzufangen.
 
Nach einer halben Stunde Klopferei im erdgeschichtlich jüngeren Aufschlussbereich am Rand des Schlamms ohne besondere Funde muss etwas grundlegend gegen die Fossilienarmut getan werden: ich arbeite mich in den Schlammstrom vor: hier wird das Gestein älter und hoffentlich auch fossilreicher. Weitere 15 Minuten graben bringen einen neuen Einblick: Erste Muschelreste tauchen auf. Auch ein glatter Spalt, wahrscheinlich ein tektonischer, keine Schichtfläche. Dahinter lohnt sich der Abbau! Der vordere Bereich ist zu massiv, da arbeitet man sich auf. Wo es ergiebig scheint, wird es aber auch immer matschiger. Am Rand ist der Schlammstrom gottseidank nur die obersten 20 cm flüssig, darunter wird es zäher. In dem Baaz enthalten sind auch größere Brocken der Fossilschicht.

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Der erste Spalt.

Ich arbeite jetzt schon eine Stunde voll, fünf große Brocken sind herausgearbeitet und warten auf die Zerkleinerung. Ich nehme mir vor, nach der ersten Krabbe Pause zu machen. Plötzlich findet sich in einem Zwickel am Rand ein deutlicher, aber unvollständiger Krabbenfund: wie vollständig und wo der Rest drinsteckt, ist vor Ort nicht zu entscheiden. Der erste Becher Tee ist trotzdem verdient! Die Aussichten sind gut! Hurraa!

02_Arbeitsplatz_im_Schlammstrom.jpgDer Arbeitsplatz im Schlammstrom.

Da taucht plötzlich mein Spezl auf: „wie schauts aus? Was isn des für eine Sauerei?“ Ich mache Sprüche, dass ich gerade die erste Pause verdient habe. Die großen Brocken sind voll mit Krabben – das lehrt die Erfahrung. Inzwischen ist es Mittag. Er schaut mir zu, wie ich meine Brocken zerkleinere -  nichts! „Des kann doch nicht sein, dass da nix hergeht! Des muss am Zuschauer liegen!“ schimpfe ich. Also bröselt er im Hangenden nach Haizähnen und meint, in meinem Loch sei eh nur Platz für einen.
Bei mir läppern sich dann doch die Funde: zwei schöne Seeigel, vollständig, eine weitere halbe Krabbe (genau halbiert durch einen Harnisch), Muscheln. In Brocken aus dem Schlammstrom ebenfalls vielversprechende Reste, aber nix handfestes. Ich möchte unbedingt die Jahresabschlusskrabbe finden! Zu Recht werde ich ermahnt wegen meiner Schimpferei. So schlecht sind meine Funde gar nicht. Seeigel sind gar nicht soo häufig hier. Wenn ich mir den inzwischen sich auftürmenden Haufen Abschläge ansehe, war es allerdings eine scheiß Schinderei.
 
Inzwischen übernimmt der Schlammstrom allmählich den geschaffenen Hohlraum wieder: immer wieder fällt mit einem leisen „flatsch“ ein weiterer Batzen in das mühsam gegrabene Loch. Auf eine Sisyphusarbeit hab ich keine Lust. Außerdem habe ich inzwischen kalte Füße. Also versuche ich mein Glück in der stehen gebliebenen Gesteinsnase vor der Harnischfläche. Ein größeres Stück ist schnell abgespalten- nichts. Im zweiten Keil sehe ich sofort auf der Bruchfläche eine rechte Krabbenschere von der Innenseite. Das heißt, die Krabbe müsste, wenn vorhanden, noch im Gestein stecken! Am Bruch sehe ich nichts von einer Fortsetzung. Schon wieder besteht wenig Hoffnung. Trotzdem stemme ich möglichst großzügig mit dem Meißel einen weiteren Keil heraus. Er bricht knapper am Rand als beabsichtigt und siehe da: auf der anderen Seite lugt das rechte Panzer-Ende mit Dorn heraus! Also ist die Krabbe komplett! Endlich! Sie scheint recht klein zu sein, aber das macht ja nichts.
 
Ich beschließe, aufzugeben. Die Kraft ist weg, die Krabbe gefunden. Saukalt ist es inzwischen in den Gummistiefeln. Meine Erkältung vom letzten Wochenende (Ammoniten im Schnee!) soll zu nichts Schlimmeren werden. Ich gehe, am Profil entlang spazierend, zu meinem Freund, der inzwischen in den älteren Gesteinspartien zwei schöne Seeigel und einige Zähnchen gefunden hat. An jedem Gummistiefel kleben inzwischen je zwei Kilo Schlamm. Es macht keinen Spaß mehr. Nur der Tee ist noch heiß.
 
Es ist 14.30 Uhr, um 16 Uhr wollte ich daheim sein. Es ist noch ein wenig Zeit. Noch einmal setze ich einen Protest-Meißel an: dem Matsch werde ich es zeigen! Die letzte, gerade wieder gewonnene Kraft muss auch noch weg. Ein Stück Mergel bricht weg und das Hinterteil einer Krabbe schaut heraus! Sie grenzt direkt an den Harnisch und ist scheinbar unversehrt! Einen lauten Triumphschrei kann ich mir nicht verkneifen. Der Brocken mit der gesamten Krabbe ist schnell geborgen, der Negativ-Abdruck mit den Resten der Krabben-Beine darin auch, der wiegt fast nix. Mittlerweile ist der kalte Wind mehr als unangenehm. Ich hoffe, mein Spezl geht auch nach Hause und trägt mir mein Werkzeug zum Auto, sein Rucksack ist nur halb voll. Er bleibt noch – schade. Mein Rucksack ist kaum tragbar, aber zweimal gehe ich nicht hin und her. Es wird schon gehen. Am Auto dann gibt’s trockene Kleidung und eine Heizung.
 
09.11.09: Fotos werden ausgetauscht von arbeitenden Personen und auch Funden: mein Spezl hat im selben Gesteinskeil nach meiner Abreise noch eine Krabbe geborgen!

16.11.09: Endlich ist Zeit, alle Fundstücke auszupacken und zur Präparation trocknen zu lassen. Es zeigt sich, dass das Krabbenhinterteil lose ist. Es ist aber ein recht glatter Bruch vorhanden. Das Kleben sollte kein Problem sein.

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Harpactozanthopsis - getrocknet.

01.12.09 Die Präparation ist abgeschlossen. Tolle Stücke, hart verdient! Der erstgefundene Krabbenrest war ein Mann, er ist wie so viele männliche Reste stark zerfallen vor der Einbettung. Es bleibt ein Panzerrest ohne Scheren. Die zweite Krabbe ist schlecht erhalten und scheinbar etwas Seltenes hier: die vielen Dornen und der recht raue Panzer lassen auf Harpactocarcínus punctulatus DESMAREST (65mm) schließen. Die nähere Bestimmung muss warten. Die letzte Krabbe sollte auf Matrix präpariert werden, es zeigte sich aber erst recht spät, dass die beiden Scheren unter dem Körper liegen. Deswegen wurde sie isoliert. Es ist eine Harpactoxanthopsis quadrilobatus DESMAREST, weiblich. Größe: 85 mm. Die Beinchen waren zu verrottet, sie konnten nicht gerettet werden. Die Seeigel sind Augenreißer, ca. 80 mm im Durchmesser. Ein toller Saisonabschluß! Und krank bin ich auch nicht mehr.

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Die rechte Schere ist gefunden - wo bleibt die linke?

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Die linke Schere!

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Geschafft: Die fertig präparierte Harpactozanthopsis quadrilobatus DESMAREST

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Conoclypus conoideus LESKE

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Harpactocarcinus punctulatus DESMAREST

Kurt Kment (marmoreum)