Baden-Württemberg

Die Begleitfauna der Riffkorallen auf der östlichen Schwäbischen Alb

Seeigel, Muscheln und Brachiopoden Begleitfauna der Riffkorallen auf der Heidenheimer und Ulmer Alb

Als das tropisch-warme Jurameer auf der Schwäbischen Alb vor 150 Millionen Jahren zu verflachen begann, gingen die am steilen Albtrauf noch heute als massige Kalkfelsen erkennbaren Schwamm- und Algenriffe allmählich in Korallenriffe über. Durch den gesunkenen Wasserspiegel konnte das Sonnenlicht, das die Korallen neben dem warmen Wasser zum Wachsen benötigten, bis zum Meeresboden vordringen. Ein echtes Korallenriff-Profil gibt es heute allerdings nur mehr an einer einzigen Stelle auf der gesamten Schwäbischen Alb zu sehen, nämlich in einem alten Steinbruch bei Arnegg nahe Blaubeuren. In den anderen Regionen der Alb ist die Lage der Korallenriffe nur noch anhand großflächiger Anhäufungen von Riffschutt zu erkennen. Im oberen Weißjura fehlten nämlich noch die Rotalgen, die durch ihre kalkigen Ausscheidungen die späteren Riffe mitaufgebaut und gegen die Meeresbrandung gefestigt haben. Der Schutt aus den instabilen und deshalb häufig zerstörten Korallenriffen diente vielen Organismen als Siedlungshartgrund. Als die oberjurassischen Korallenriffe auf der Alb entstanden, bildeten sich auch die Kalk-Mergel-Schichten der Zementmergel-Formation heraus, in die der Korallenriffschutt vielerorts eingebettet wurde.


Abb. 1: In einem Steinbruch bei Nattheim tritt Riffschuttgestein aus der Zementmergel-Formation zutage. In dem Bruch finden sich denn auch die fossilen Überreste von flachwasserliebenden Tieren.

Auf flächige Ansammlungen von Schuttresten aus oberjurassischen Korallenriffen trifft man auf der Schwäbischen Alb insbesondere in der Gegend um Nattheim und Gerstetten nahe Heidenheim, aber auch auf der Ulmer Alb bei Beiningen südlich von Blaubeuren. In diesen Gebieten sind die Fossilien vielfach verkieselt. Die Verkieselung erfolgte in mehreren Schritten eines geochemischen Prozesses: Zuerst wurden die Kalkskelette vieler Fossilien abgelöst, während das umgebende Gestein erhalten blieb. Der so entstandene Hohlraum wurde wieder verfüllt – und zwar mit Kieselsäure, die aus den im Meerwasser aufgelösten Skelettnadeln von Kieselschwämmen stammte. Die Verkieselung der Fossilien macht es dem Präparator einfach: Er gibt das fossilhaltige Gestein in Salz- oder Essigsäure, in der sich der Kalk auflöst. Die verkieselten Fossilien dagegen werden von der Säure nicht angegriffen und liegen nach dem oft tagelangen Ätzvorgang frei.




Abb. 2 und 3: Lage der Korallenriffe bei Nattheim, Gerstetten und Beiningen auf der südöstlichen Schwäbischen Alb.

Im unteren Oberjura entstanden Schwammrasen und Algen-Schwammriffe, die in der Oberen Felsenkalk-Formation ihren Höhepunkt erreichten. Durch die Hebung des Meeresbodens auf der südöstlichen Schwabenalb starben die Schwammriffe im flachen Wasser ab und es bildeten sich Korallenriffe heraus. Nur im obersten Kimmeridgium (ki5), also in der Zementmergel-Formation, sind die Korallen und ihre Begleitfauna verkieselt erhalten.


Abb. 4: Stratigrafie des Oberen Oxfordiums und des Kimmeridgiums auf der östlichen Schwäbischen Alb.

In diesem Beitrag sollen jedoch nicht die berühmten verkieselten Korallen von Nattheim und Gerstetten im Vordergrund stehen, sondern die reiche Biodiversität, also Artenvielfalt der Korallenriffe. Dabei handelt es sich um Muscheln, Austern, Brachiopoden, Schnecken, Bryozoen, Serpeln, Seeigel und Seelilien. Ammoniten dagegen gehören in den Flachwasserzonen der Korallenriffe zu den großen Seltenheiten.


Abb. 5: Teilstück einer Arctostrea gregarea SOWERBY (4 cm) aus Gerstetten. Die langgezogene Auster mit ihrem halbkreisförmigen Umriss weist stark nach oben zulaufende Flanken auf. Die Oberfläche ihrer Schalen ist durch zahlreiche scharfe Rippen gekennzeichnet.


Abb. 6: Großwüchsiges Exemplar der Auster Deltoideum delta SMITH (12 cm) aus Gerstetten. Die Schalen der Auster dienten anderen Tieren, beispielsweise Schwämmen, als Hartgrund für die Ansiedlung.


Abb. 7: Die Muscheln des Korallenriffschutts sind meist kleinwüchsig und dünnschalig, so auch dieser Spondylus aculeiferus ZIETEN (3 cm) aus Nattheim. Im linken unteren Drittel der Muschel sind noch die Ansätze der Dornen zu erkennen.


Abb. 8: Leptomaria phacoides ZITTEL (3 cm) aus Nattheim. Wie die Muscheln sind auch die Gastropoden im Fundgebiet meist recht klein und dünnschalig, dafür aber gut erhalten. Die flach gewölbte Schnecke kann auf der Schwäbischen Alb jedoch zuweilen die stattliche Größe von bis zu 9 cm erreichen. Ihre leicht gewölbten Windungen sind skulpturlos, die Nähte leicht eingesenkt.


Abb. 9: Leptomaria umbilicata SIEBERER (Höhe 25 mm) aus Gerstetten. Die Schnecke lässt sich an ihrem bis zu 4 cm hohen kegelförmigen Gehäuse mit den ebenen Umgängen und der wulstartig ausgebildeten basalen Kante bestimmen.


Abb. 10: Diese Schnecke (ca. 3 cm) aus Nattheim könnte aufgrund der ansatzweise erkennbaren Axialrippen und kräftigen Dornen auf der Mitte der Umgänge zur Gattung Diarthema gestellt werden. Dafür spricht auch die erhaltene weite Gehäusemündung.

Serpeln oder Röhrenwürmer gehören zu den häufigsten Vertretern der Korallenriff-Fauna in Gerstetten, Nattheim und Beiningen. Von den Würmern sind nurmehr die verkieselten Wohnröhren zu finden. Vermutlich hatten die Würmer einen gegliederten Körper, der sich aus zahlreichen borstenbesetzten Abschnitten zusammensetzte. Die Größe der Wurmröhren kann sich von wenigen Millimetern bis zu mehr als 10 cm erstrecken. Im Korallenriffschutt finden sich die Röhren meist nicht isoliert, sondern auf Hartgrund aufgewachsen, beispielsweise auf Korallen oder Austern. Die überwiegende Mehrzahl der Röhrenwürmer bevorzugte das marine Flachwasser als Lebensbereich. Mit feinen Härchen führten sich die Tiere Wasser zu, aus dem sie winzige Nahrungsteilchen filterten.


Abb. 11: Mit einer Länge von 8 cm und einem Öffnungsdurchmesser von 6 mm gehört diese Serpel aus Nattheim, die sich auf einem Korallenstock angesiedelt hat, zu den Riesen unter den Röhrenwürmern.


Abb. 12: Bedeutend filigraner ist diese 6 cm lange Gerstettener Serpel, die sich einen Schwamm als Hartgrund auserkoren hat.


Abb. 13: Zwei isolierte Serpeln (22 und 26 mm) aus dem Riffschutt von Beiningen.


Abb. 14: Hier diente der Riffschutt gleich einer ganzen Ansammlung von Serpuliden als Bauplatz für die Wohnröhren. Das Handstück (8 cm) stammt aus Nattheim.

Zu den eher seltenen Funden im Korallenriffschutt der Ostalb gehören Bryozoenkolonien. Laut Andreas E. RICHTER sind bisher rund 25.000 Arten von Bryozoen oder Moostierchen bekannt. Sie leben ausschließlich in Kolonien aus tausenden von winzig kleinen Individuen, die in Wohnröhrchen hausen. Die fossilen Bryozoen-Kolonien können eine Größe von 60 cm erreichen. Mit feinen Tentakeln greifen die Moostierchen nach Nahrung.


Abb. 15: Bryozoenkolonie (4 cm) aus Gerstetten.


Abb. 16: Stromatoporen-Kolonie (6 cm) aus Nattheim. Diese ausgestorbene Tiergruppe trat im Jura wie die Korallen als Riffbildner auf. Die meisten Wissenschaftler zählen die Stromatoporen zu den Schwämmen. Wie diese filtern sie ihre Nahrung durch Poren aus dem Wasser heraus.

Brachiopoden gehören auf den Korallenschuttfeldern von Beiningen, Gerstetten und Nattheim zu den häufigsten Fossilien. Oft finden sich auf ihnen kleine und größere weißliche Silifikationsringe: Häufig beginnt die Verkieselung an einem Punkt und breitet sich dann kreisförmig über den Fossilkörper aus. Beim Herausätzen der Brachiopoden aus dem umgebenden Kalkgestein kann es geschehen, dass sich auch das „Innenleben“ der Brachiopoden auflöst und der Präparator durch die geöffneten säurebeständigen Kieselschalen in einen Hohlraum blicken kann. Unter der Korallenriff-Fauna finden sich sowohl rhynchonelloide als auch terebratulide, also gerippte und glatte Formen.


Abb. 17: Juralina insignis SCHUEBLER (25 mm) mit Silifikationsringen aus Gerstetten. Dieser Brachiopodentypus kann die stattliche Größe von 6 cm erreichen.


Abb. 18: Drei Brachiopoden des Typus Torquirhynchia speciosa MUENSTER (30 bis 41 mm) aus Beiningen und Gerstetten. Die scharf gerippten Schalen enden in einer gezackten Kommissur, die asymmetrisch über den Stirnrand verläuft. Dadurch sieht die Schale verdreht aus. Im Riffschutt konnte Torquirhynchia speciosa bis zu einer Größe von  5 cm heranwachsen.


Abb. 19: Torquirhynchia speciosa MUENSTER (35 mm) aus Nattheim.


Abb. 20: Ismenia pectunculoides SCHLOTHEIM (9 mm) war ein typischer Bewohner der oberjurassischen Korallenriffe und gehört im Fundgebiet zu den häufigsten Fossilien. Der kleinwüchsige Brachiopode mit rundlichem Umriss weist nur wenige Schalenfalten auf. Das abgebildete Exemplar stammt aus Beiningen.


Abb. 21: Ismenia pectunculoides SCHLOTHEIM (11 mm) aus Beiningen. Der Brachiopode teilt sich ein Riffschuttstück mit einer Auster Arctostrea gregarea.

Wie alle hier vorgestellten Funde aus Gerstetten, Nattheim und Beiningen wurden auch die Stachelhäuter nicht durch Graben, sondern durch einfaches Auflesen von den Äckern gesammelt. Jedes Jahr auf´s neue wirft der Pflug Schollen auf, von denen die Niederschläge die Riffschuttstücke und Kleinfossilien in die Furchen schwemmen. Dort können sie unter scharfem Auge bequem aufgelesen werden. Komplette Seeigel finden sich selten auf der Ackeroberfläche – und wenn doch, dann sind sie meist stark verwittert. Hat man aber Glück, so bleibt auf den Riffschuttstücken nach dem Ätzen mit Säure auch einmal ein kleiner und bestens erhaltener Plegiocidaris zurück. Korallen, denen Seeigel anhaften, gehören zu den Schmuckstücken der Nattheimer und Gerstettener Sammler. Häufiger als die Seeigelcoronen lassen sich Seeigelstacheln sammeln. Auch diese ergeben zusammen mit den anderen Kleinfossilien auf den Riffschutt-Handstücken ein schönes Bild. Zu den Echinodermenresten, auf die der Sammler häufig in den Korallenäckern stößt, zählen ebenso die Seelilien-Fragmente, vor allem Stielglieder von wenigen Millimetern bis mehreren Zentimetern Länge. Kelchteile lassen sich dagegen nur sehr selten finden.


Abb. 22: Seeigel der Gattung Plegiocidaris (43 mm) aus Nattheim. Die braune Färbung verrät, dass er bereits länger auf dem Ackerboden der Witterung ausgesetzt war.


Abb. 22: Seeigelstacheln aus Gerstetten (Handstück: 7 cm). Auf den Riffschuttstücken finden sie sich häufig.


Abb. 23: Seelilienstiel-Fragmente der Gattung Millericrinus (20 und 35 mm) aus Beiningen.

Bei den im Beitrag vorgestellten Funden handelt es sich ausschließlich um Fossilien, die auf Äckern in der Korallenriff-Fazies gesammelt wurden. Große Handstücke mit perfekt erhaltenen Korallen, Seeigeln oder Seelilienkelchen ließen sich früher vor allem in den großen Baugebieten machen, die in Gerstetten und Nattheim aus dem Boden gestampft wurden. Heute ist der Sammler meist auf einige wenige Äcker angewiesen – falls ihm nicht in den Wäldern südwestlich von Nattheim der Sturm zu Hilfe kommt. Nach Windwürfen lassen sich in den Wurzeltellern der umgestürzten Bäume zuweilen noch größere Gesteinsbrocken mit Korallen entdecken. Wer die ganze Pracht der oberjurassischen Korallenriffe bestaunen möchte, der sei auf das Riffmuseum in Gerstetten verwiesen. Das Museum hat von März bis Oktober an Sonn- und Feiertagen von 10 bis 17 Uhr geöffnet.

Literatur

FRAAS, Eberhard: Der Petrefaktensammler, Stuttgart 1910.

HÄGELE, Gerhard: Juraschnecken, Korb 1997.

JUNGE, Werner: Korallenriffe heute und im Oberjura, in Arbeitskreis Paläontologie Hannover, 15. Jahrg., Heft 1, S. 8 – 13.

QUENSTEDT, Friedrich August: Der Jura, Tübingen 1858.

REIFF, Winfried: Geologische Karte von Baden-Württemberg – Erläuterungen zum Blatt 7326 Heidenheim, Freiburg 2004, S. 27 – 29.

RICHTER, Andreas E.: Handbuch des Fossiliensammlers, Stuttgart 1981.

SAUERBORN, Ulrich: Die Korallenkalk-Fauna von Nattheim, in: WEIDERT, Werner K. (Hrsg.): Klassische Fundstellen der Paläontologie Bd.1, Korb 1988, S. 77 – 84.

SCHWEIGERT, Günter: Riffe im Weißen Jura der Schwäbischen Alb, in: LEINFELDER, Reinhold & KULL, Ulrich & BRÜMMER, Franz: Riffe – ein faszinierendes Thema für den Schulunterricht, Stuttgart 1998.

WIETZKE, Hildegard: Riffkorallen des Malm zeta in Süddeutschland, in: Arbeitskreis Paläontologie Hannover, 16. Jahrg., Heft 2, S. 25 – 34.

WIETZKE, Hildegard: Die Begleitfauna der Riffkorallen des Malm zeta 2 – Fundstellen Nattheim und Gerstetten in Süddeutschland, in: Arbeitskreis Paläontologie Hannover, 16. Jahrg., Heft 4, S. 77 – 83.