Niedersachsen

Die Tongrube Gerzen – eine tote, aber unvergessene Fundstelle

Westlich von Alfeld/Leine, am Rande des Ortsteiles Gerzen, liegt eine seit über 100 Jahren aufgelassene Tongrube. Heute in Privatbesitz und an einen Heimatverein verpachtet, lieferte sie zu Betriebszeiten hervorragende Fossilien aus dem Bajocium. Forschergenerationen haben sich daran vergnügt, nennen wir mal ROEMER und WESTERMANN, um nur Repräsentanten zweier Generationen zu erwähnen.

Was bringt mich nun dazu, als Laie mich an so ein Thema zu wagen?
Einfach: seit Mitte der achtziger Jahre streife ich diese alte Fundstelle in unregelmäßigen Abständen immer mal wieder, mit einer sehr großen Pause zwischen 1985 und 2006. Dabei stieß ich sowohl auf Fossilien als auch auf Hinterlassenschaften „Fossilsuchender“. Fast schockierend waren die Eindrücke aus den Achtzigern, als in der Grube Grabungen stattfanden, die zum Teil wohl offiziell vorgenommen wurden, zum Großteil aber wohl unter das Thema „wildes Schachten“ fielen. Gemeinsam hatten sie, dass kein Schurf wieder verfüllt wurde.
Das Interesse an dieser Fundstelle ist nach wie vor groß. Aus persönlicher Erfahrung kann ich das nur bestätigen, seit ich Bestimmungsfragen zu Ammoniten aus der Ecke in steinkern.de eingestellt habe, kommen immer mal wieder Fragen nach Gerzen. Um hier einmal umfassend die ganze Gemeinde auf einen Informationsstand zu bringen, dieser kleine Aufsatz.

Wie ist die Situation heute?
Die Grube, der ältere Teil liegt im Pliensbachium bis zum Posidonienschiefer, der neuere Teil erschließt Teile des Bajociums, ist ein Gemisch aus renaturiertem Abbau und Naherholungsgebiet, kombiniert mit einem Angelteich. Mehrere Bäche fließen durch das Gelände. Ein alter Baumbestand und recht gepflegte Wanderwege zeichnen den Bereich aus, das Gelände wird seit nunmehr 15 Jahren von einem Heimatverein gepflegt.
Am äußersten Rand geht die Vegetation in Bauernwald über, zur Bergseite stehen Buchenbestände, die regelmäßig durchforstet werden. Hier zieht sich ein Korallenoolithkamm parallel zum Leinetal hin, dessen Wasser auf den Tonflächen in Quellen zu Tage tritt und die oben erwähnten Bäche speist. Im Sommer fallen diese Bäche im Mittellauf, auch im Bereich des Posidonienschiefers, trocken, weiter unterhalb fließt meist ein kümmerliches Rinnsal.
Südlich der Grube sind ein paar „Löcher“ im Wald, die als „Erdfälle“ gedeutet werden. Ich weiß nicht, ob man das so unterstützen kann, aber zumindest in einem hört man im Untergrund schwach Wasser rauschen.
Nun die Gretchenfrage: Was kann man als Fossiliensammler von der Grube erwarten? Wenn man die Monographien von G.WESTERMANN von 1954 und 1956 genau liest, weiß man, dass die beschriebenen Funde aus dem Bereich des Teiches stammen,  und zwar hat WESTERMANN damals den Wasserstand des Teiches absenken lassen. Dadurch war ihm das Ergraben der Profile erst wirklich möglich. Seitdem sind über 50 Jahre vergangen. Das Gelände ist, wie oben schon erwähnt, mittlerweile mit einem prächtigen Baumbewuchs bestanden, auch die Grabungsflächen von damals, wenn nicht unter Wasser, sind gut bewachsen. Abgesehen von der Tatsache, dass es keine Grabungserlaubnis gibt, verbietet die Vegetation schon solche Unternehmungen.
Aber immerhin sind immer noch Lesefunde möglich. Dazu gehört eine gehörige Portion Glück. Da beim Abbau die Kalkknollen/Laibsteine/Geoden mehr oder minder „Abraum“ waren, wurden sie zur Seite geschmissen, wenn man nicht offensichtlich Ammoniten sah und diese dem städtischen Museum oder Forschern überließ. Dieser Abraum wurde zum Errichten von Dämmen und Aufschüttungen hergezogen, bestimmt auch zum Befestigen der Abfuhrwege. Es gab eine Feldbahn zum Abtransport des Tones, das Planum wurde bestimmt auch so verstärkt, neben der Verwendung von Ziegelschutt und Fehlbränden. Als später in der Grube eine Badeanstalt und dann Fischteiche angelegt wurden, sind die Staudämme sicher auch aus solchem Material erstellt worden. Seit Ende der 50er Jahre badet man nun lieber in Chlorwasser als in Tongruben, und so blieb nur die Nutzung als Angelteich, und das Gelände verwilderte zusehends. So konnten die Bäche sich ihre Wege außerhalb der Teiche selbst graben. Dabei spülten sie so einiges an Geodenresten (mit Sicherheit auch Reste der Grabungen von WESTERMANN) frei. Diese Trümmer kann man heute manchmal noch finden, hin und wieder wundert man sich, dass so etwas so lange liegen geblieben ist.

Was will ich damit sagen? Ich habe den Eindruck, dass man sehr viel erwartet, wenn das Wort „Gerzen“ fällt. Ich möchte da etwas zur Ernüchterung beitragen. Ja, man kann gute und schöne Funde machen. Aber man sollte bedenken, dass man nach Stunden bodennahem Suchens in einem holperigen Bachlauf nur eine Hosentasche voll Brocken nach Hause trägt. Wen man Glück hat, ist der eine faustgroße Splitter dabei, in dem ein paar Dorsetensia oder ein kleiner Chrondoceras stecken, die man dann beim Präparieren auch noch demoliert. Solange in dieser Ecke keine neue Tongrube aufgemacht wird, bleibt Gerzen die in der Überschrift erwähnte tote, aber unvergessene Fundstelle.

Meine Funde habe ich teilweise in „tiefster Gangart“ aus dem Schutt geklaubt, größtes Werkzeug dabei Taschenmesser und Jutebeutel. Ob die Funde taub oder höffig sind, weiß man spätestens beim Bürsten zu Hause. Dann kommt die Sache mit dem Präparieren. Ich habe bei einigen Funden den Verdacht gehabt, dass Vorsammler die Teile weggeworfen haben, weil sie irgendwie erkannt hatten, dass das Gestein zu hart ist. Man kann angeschliffene Stahlnägel darauf zu Angelhaken umformen… Wenn man dann allerdings doch Erfolg hat (ich habe ein ganzes Paket Nägel im steten Umlauf im Einsatz), wird man durch toll erhaltene Fossilien belohnt – das ist der Ruf von Gerzen.
Was die Doggerfossilien von Gerzen von anderen Fundorten vielleicht unterscheidet, ist die dunkle Erhaltung. Keine Oolithe, keine Rostfärbung, und mit Glück vollständige Erhaltung.

Jetzt habe ich hoffentlich nicht zu viele Hoffnungen zerstört. Aber diese Klarstellung zu Gerzen war meiner Meinung nach einmal nötig, um zu verhindern, dass unser Hobby durch übersteigerte Erwartungen Schaden nimmt.

Zum Abschluß noch ein paar Bilder, die die Situation etwas erläutern:

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Trockengefallener Bach im Bereich des Posidonienschiefers. Hier ist nichts zu holen.

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Besser und ein Glücksfall: in der unteren Bildmitte grinst ein freiliegendes Dorsetensia–Paar in die Linse…

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Nach dem „Präparieren“ waren es dann sogar drei: Durchmesser 30, 25 und 10 mm

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Absoluter Glücksfall: Handstück mit Chrondoceras-Friedhof, Durchmesser jeweils 8 bis 12 mm, nach dem Präparieren mit 150g-Hammer und Stahlnägeln….