Sonstige Bundesländer

Rügen rund ums Jahr

Rügen rund ums Jahr

von Christian Prutz (Berlin)

 

In diesem Bericht möchte ich dem geneigten Leser ein Familienurlaubsgebiet „par excellence“ vorstellen, welches auch die Sammelleidenschaft bestens bedient. Denn, wie aus dem Campan-Artikel (Der Steinkern - Heft 8) bekannt ist, sehen wir jedes Fossilienevent auch als Familienerlebnis.

 

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Abb. 1: Am Meer mit Familie.

Ich möchte den Leser dazu anregen, die größte deutsche Insel rund ums Jahr zu besuchen, denn sie hat immer ihre Reize und die Fundmöglichkeiten variieren jahreszeitlich.

 

Schreibkreide
Grundsätzlich interessiert uns natürlich die Schreibkreide, jenes in der geologischen Epoche der Oberkreide gebildete Sediment, welches zu 98% aus Calciumcarbonat besteht. Dieses stammt vorwiegend aus Skeletten planktonischer Geißelalgen. Pro 1000 Jahre bildeten sich daraus etwa 35 mm Sediment.
Somit ist die Schreibkreide über das Campan zu stellen und bildet sozusagen den „Deckel“ der Kreide zum Dan. Sehr schön zu erleben am dänischen Stevens Klint auf Höhe von Hoejerup.

Aber nun lasst uns einsteigen in das Abenteuer Rügen. Beginnen wir zunächst mit dem ...


Winter

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Abb. 2: Eis von seiner schönsten Seite.


Ich sehe schon viele Leser in ihren Sesseln zusammensinken und leicht fröstelnd den Glühwein erhitzen... Die Jahre 2010 und 2011 brachten der Insel Schneeverwehungen von 3-5 Metern und einige Touristen mussten mit Bundeswehrhubschraubern ausgeflogen werden.
Trotzdem bringt der knackige Frost – vorausgesetzt es liegt kein Schnee - schöne Gelegenheiten die Kreide von Kap Arkona unter die Lupe zu nehmen. Dies ist der nördlichste Punkt der schönen Insel und im Sommer total überlaufen.

Um Kap Arkona zu erreichen gibt es zwei Möglichkeiten. Zunächst einmal muss man den PKW auf dem zentralen Parkplatz abstellen (Gebühr pro Tag zur Zeit etwa 3 Euro).
Dann hat man entweder einen schönen Spaziergang von 45 Minuten vor sich oder man fährt ab 9:30 Uhr mit einer kleinen „Bimmelbahn“ zum Kap (Kosten hin und zurück ca. 4,50 Euro, immer zur halben und vollen Stunde hin, sowie zur ¼ und ¾ Stunde zurück).

Oben am Kap angekommen wenden wir uns nach rechts und passieren den Leuchtturm. Hinter diesem führt nach ca. 100 Metern eine Treppe zum Meer hinab. Da die Treppe steil und oft rutschig ist, ist beim Abstieg Vorsicht geboten. Unten angekommen wenden wir uns nach links und begeben uns zur steil aufragenden Kreide.

 

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Abb. 3: Kap Arkona.

 

Warnhinweis:

Bitte einen Respektsabstand vom Hochufer halten! Dies gilt nicht nur für das Kap Arkona, sondern auch für alle anderen Steilküstenabschnitte.

Immer wieder ist es in der Vergangenheit zu Unglücken gekommen - die Steilküste ist immer in Bewegung, in Abhängigkeit von den Witterungsbedingungen mal mehr und mal weniger. Selbst im Sommer kann es zu unvermittelten Abbrüchen kommen. Dies gilt neben der Kreide auch für die Geschiebemergel, die insbesondere durch Nässe instabil werden.

 

Oft finden sich im ausgespülten Material schöne Bryozoen, doch auch andere Besonderheiten lassen sich – wenn auch recht selten – entdecken. So z. B. der Schneckenkreidekern von Abb. 4.

 

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Abb. 4: Unbestimmte Schnecke, 30 mm lang.


Um diese Stücke zu sichern, haben wir immer eine Flasche farblosen Nagellack bei uns, um die Oberfläche zu versiegeln. Noch besser ist ein in Aceton gelöster Lack auf Harzbasis, welcher zusätzlich die Kreide härtet und die Feuchtigkeit aus ihr verdrängt. Haben wir die Wand abgesucht, können wir in kurzer Zeit hunderte kleiner Fossilien aus dem Spülsaum aufsammeln.
Am zuverlässigsten ist nach unseren Erfahrungen der Bereich rund um den großen Findling. Hier suchen wir Kiese mit 1-3 mm auf und schauen diese gewissenhaft durch. Gefunden werden Brachiopoden, Gehäuseplatten von Seeigeln und Seeigelstacheln, Solitärkorallen und vieles mehr (Abb. 5-9).

 

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Abb. 5: Solitärkorallen (Parasmilia) von 20-45 mm Länge.

 

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Abb. 6: Unterschiedliche Armfüßer, 2 bis 25 mm groß.

 

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Abb. 7: Zähne von ?Cretorhinus sowie ein Haiwirbel.

 

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Abb. 8 Kalkschwämme (Porosphaera sp.), 5 bis 30 mm.

 

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Abb. 9: Seesternarmspitze, Moostierchen, Wurmröhren (Conorca trochiformis, oben rechts und zwei Exemplare von Neomircorbis).


Auch kommen verschiedene Fossilien aus dem Silur und anderen Zeitaltern vor, hierbei handelt es sich um Geschiebe (Abb. 10).

 

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Abb. 10: Schönes aus dem Silur.

 

Die Krabbe von Abb. 11 ist ein absoluter Einzelfund.

 

 

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Abb. 11: Unbestimmte Krabbe.

 

Bevor wir uns zu einer heißen Tasse Tee in unsere Unterkunft begeben, nehmen wir noch einen Beutel Kies kleinerer Körnung mit. Diesen können wir dann nach der Trocknung am nächsten Tag sieben und finden hierbei mit etwas Glück winzige Muscheln sowie kleine Haifischzähne.

Ist das Wetter für kleine Kinder zu eisig, bietet sich ein Besuch im Ozeanum in Stralsund an. Dies ist einer der schönsten Aquarieren Deutschlands. Besonders faszinierend sind die Walhalle und der Heringsschwarm.

An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal bedanken – und zwar bei Familie Lahann-Reuter aus Hamburg. Diese vermietet auf der Insel drei perfekt ausgestattete Ferienwohnungen (eine mit Sauna, alle mit Kamin) in einem wundervolen Reetdachhaus in Schwarbe an der Nordwestküste Rügens. Wer möchte, kann sogar sein eigenes Pferd mitbringen, eine Koppel ist vorhanden.
Die Unterbringung bietet absolute Ruhe und Natur zu einem sehr günstigen Preis.
Im Winter ist man oft der einzige Bewohner und sieht nur Nebel und hört den Sturm ums Haus brausen. Danke für die vielen Jahre der freundschaftlichen Verbindung (Abb. 12, 13).

 

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Abb. 12: Das Ferienhaus mitten im tiefsten Winter.

 

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Abb. 13: Strandspaziergang mit Pferd.

 

Frühling
Der Frühling auf der Insel lenkt das Augenmerk des Sammlers auf einen ganz anderen Aspekt: Bernstein (Abb. 16, 17).

 

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Abb. 16: Bernstein, 20 bis 50 mm lang.

 

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Abb. 17: Die Ausbeute von zwei Tagen.


Zur Bernsteinsuche begeben wir uns auf die Schaabe, einen schmalen, viele Kilometer langen Sandstrand zwischen Glowe und Juliusruh.
Wir fahren von Juliusruh kommend bis zum Parkplatz am Rettungsweg drei, parken dort und gehen durch den Wald 5 Minuten zum Meer.
Dort wenden wir uns nach rechts (meist ergiebiger als links, warum weiß nur Poseidon...), und beginnen zu sammeln. Im Spülsaum fallen uns zunächst winzige orange und gelbe Splitter auf. Die wirklich interessanten Stücke finden sich allerdings in den von den Frühingsstürmen aufgespülten Algenteppichen. Begeben wir uns auf dieses etwas gewöhnungsbedürftige Material und durchwühlen es, so bleibt es nicht aus, dass wir viele Bernsteine zwischen wenigen Millimetern und 5 cm Größe finden. Etwas, das speziell Kindern viel Freude bereitet. Nebenbei kann man noch den einen oder anderen Drachen steigen lassen, so dass dem Familienglück nichts mehr im Wege steht.
Ein weiteres „Highlight“ dieser Jahreszeit ist die große Zahl von Zugvögeln, die im Frühling die Insel bevölkern. Ein Fotosafari mit langem Teleobjektiv ab 600 mm lohnt immer und bringt den Kindern die Natur näher.

 

Sommer

 

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Abb. 18: Die Insel ist voller Falter.

 

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Abb. 19: Halbinsel Zicker.


Wer schon einmal auf Rügen war, kennt die große Anzahl von Menschen, die sich in dieser Jahreszeit auf der Insel befinden.
Da ist es schön zu baden und die Sonne brennt vom Firmament – aber Fossilien?
Wer möchte schon auf den Knien zwischen mehr oder weniger nackten Menschen durch den Sand krabbeln? Gut, auch das geht, natürlich ist “FKK-Schürfen” aber nicht jedermanns Sache.
So begeben wir uns also lieber leicht bekleidet und mit ausreichend Wasser versorgt nach Klementelvitz. Dies ist ein kleiner Ort in der Nähe von Sagard. Dort duckt sich zwischen Feldern versteckt der einzige noch aktive Kreidebruch der Insel.

Zu den Sammelmodalitäten (Einholen einer Begehungserlaubnis usw.) finden sich aktuelle Angaben unter

http://www.steinkern.de/forum/viewtopic.php?f=20&;t=14122

Beim Begehen des Geländes fanden wir u.a. die auf Abbildungen 20-24 gezeigten Fossilien.

 

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Abb. 20: Schöne Muschel (?Plagiostoma sp.), 34 mm.

 

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Abb. 21: Spondylus sp., 32 mm.

 

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Abb. 22: Steckmuschel Pinna sp., 85 mm.

 

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Abb. 23 a: Seeigel Echinocorys sp. bis 80 mm.

 

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Abb. 23 b: Weitere Seeigel.

 

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Abb. 24: Austern der Spezies Pycnodonte vesicularis.

 

Herbst

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Abb. 25: Großartiger Buchenwald im Herbst.

 

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Abb. 26: Die Küste am Kieler Bach.


Für uns ist der Herbst die schönste Zeit auf Rügen. Besonders für Kinder ist es toll, das Ende der Vegetationsperiode in unberührter Natur zu erleben. Als Einführung ist es ratsam, das relativ neue Informationszentrum am Königsstuhl aufzusuchen. Es gibt interaktive Schauen und viel Wissenswertes über die Insel und ihre Entstehung zu erfahren. Danach kann man selbst aktiv werden: Pilze sammeln in den Wäldern der Schaabe, Kraniche beobachten auf der Halbinsel Ummanz und auf den Feldern bei Altenkirchen, Fotosafaris auf Singschwärme und Gänse bei Bergen und nicht zuletzt ausgedehnte Wanderungen durch das Naturschutzgebiet Jasmund.

Womit wir wieder bei den Fossilien wären. Eine wunderbare Ecke für unser schönes Hobby ist nämlich der “Kieler Bach” in eben diesem Schutzgebiet.
Dazu fahren wir mit dem Wagen vom Königsstuhl aus kommend in Richtung Saßnitz. Dies mit Vorsicht, denn gerade zwischen 6 und 9 Uhr und in der Abenddämmerung ist die Straße im Herbst stark mit Reh- und Dammwild bevölkert. Kurz vor Saßnitz zweigen wir links in einen kleinen Fahrweg zum Ausflugshotel “Waldhalle” ab. Diesem folgen wir bis zum Parkplatz, schnappen uns unsere Ausrüstung, traben zum Weg am Steilufer und folgen diesem nach links. Nach einer halben Stunde (mit Kind eine halbe Stunde mehr einplanen) erreichen wir den Abstieg am “Kieler Bach”. Weder dürfen wir Pflanzen aus diesem Gebiet entnehmen, noch am Ufer in der Wand klopfen. “Fehltritte” werden von Naturscouts geahndet, welche regelmäßig den Weg begehen.
Unten am Meer angekommen, zeigt sich uns eine der schönsten Ecken Rügens. Die Buchen sind rot belaubt und stehen im Gegensatz zum Weiß der Kreide, das Meer ist türkisblau und mutet bei ruhiger See fast schon tropisch an. Sind wir vor 9 Uhr angekommen, können wir dieses Paradies meist für uns alleine genießen.
Nach ausgiebiger Bewunderung wenden wir uns nach links und beginnen mit der Suche. Sofern wir ein wenig Glück haben, finden bald einige Seeigelsteinkerne den Weg in unseren Eimer. Zudem weist dieser Küstenabschnitt bei Weitem das höchste Aufkommen an Belemniten auf. Dazu gesellen sich die “üblichen Verdächtigen”.

Damit beende ich die Reise durch die Jahreszeiten und hoffe, dass für jeden etwas dabei ist.

Eine Reise lohnt sich auf jeden Fall und das für die ganze Familie. Wer etwas Besonderes erleben möchte, dem empfehle ich einen Hubschrauberflug entlang der Kreideküste von Jasmund. Zu buchen ist dieser am Hafen von Neu-Mukran für zirka 350 bis 400 Euro und bis zu vier Personen. Die Dauer des Flugs beträgt zirka 15 Minuten (Abb. 27, 28).

 

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Abb. 27: Traumhafter Blick aus dem Hubschrauber auf die Kreideküste.

 

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Abb. 28: Wieder gelandet.

 

Bis bald!

Familie Prutz

 

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Text: Christian Prutz
Fotos: Sina-L. Schoenke-Prutz