Sonstige Berichte

Rekonstruktion eines Ammoniten

Das gängige Bild, das die meisten Leute im Kopf haben, wenn sie an Ammoniten denken ist doch so etwas wie ein Tintenfisch mit den sehr langen, Saugnäpfen besetzten Fangarmen eines Kraken und einem Deckel (Hut) auf dem Kopf, ähnlich dem Nautilus. Diese Vorstellung scheint von einer Paläontologengeneration zur nächsten weitergegeben zu sein,  denn es fehlt bis zum heutigen Tag ein Ammonitenfund, dessen Weichteile mit fossilisiert wurden. So ist man im Prinzip auch heute noch auf wenige Einzel-Indizien und sogar nur auf Annahmen angewiesen, wenn man ein Ammonitenmodell gestalten will.

Zusammen mit Günter Knittel habe ich mich seit einigen Jahren intensiv mit dem Aussehen der Ammoniten befasst und dabei haben wir ein paar solcher Modelle entwickelt. Unsere Modelle sind so aus der Weiterentwicklung der älterer Modelle entstanden und neue Erkenntnisse, logische Denkansätze sowie fossile Belege sind in den Entstehungsprozess eingeflossen.
Unser aktuelles Großmodell (etwa 26 cm Ø) möchte ich hier vorstellen und etwas näher erklären.

Kosmoceras (Spinikosmoceras) castor (REINECKE 1818)

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Für das Modell habe ich den Kosmoceras castor gewählt. Da ich oft im Ornatenton des Wiehengebirges Fossilien suche und Kosmoceras, wie ich finde, eine der schönsten Ammonitengattungen ist, schien mir das ganz passend. Da castor dort als häufigste Art vorkommt, hatte ich auch genug fossile Vorlagen für das Modell.
Dementsprechend war die Herstellung des Schalenmodells zwar sehr aufwendig, aber es gab keine Ungenauigkeiten oder Interpretationsspielraum.

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Pyritsteinkern mit platt gedrückter Wohnkammer,  3,6 cm Länge.

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Pyritsteinkern, Ø 2,1 cm.

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Noch ein Pyritsteinkern, Ø 1,8 cm.

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Ein komplett  flachgedrücktes Exemplar, Ø 4,7 cm.

K. castor ist ein ohrentragender Mikroconch (Männchen) und von Funden aus England ist bekannt, wie diese Ohren (Lappets / Apophysen) im richtigen Winkel zur Gehäusespirale stehen:


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Aus Henri TINTANT, Publications de L'Universite' de Dijon, Les Kosmoceratides du Callovien infèrieur et moyen d'Europe occidentale.
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Der Weichkörper:
Variante 1: Das Spirula – Kopf – Modell.

Spirul spirula ist ein kleiner Hochseetintefisch, der tatsächlich eine rudimentäre, gekammerte Schale (Hydrostatischer Schwimmapparat) im Inneren seines Mantels hat. Und tatsächlich soll dieses Tier noch am nächsten mit den Ammoniten verwandt sein, zumal beide ihren Ursprung bei den Bactriten des Ordoviciums haben. In Anlehnung an Spirula ist daher diese Kopfvariante entstanden, die unsere zweite Modell-Option ist.
Über den Weichkörper der Ammoniten weiß man praktisch nichts, bisher konnten keine Fossilien eines Ammonitenkopfes gefunden werden.
Über Anzahl und Länge der Fangarme der Ammoniten weiß man also nichts. Es wäre aber nahliegend, dass die Ammoniten wenige Arme (8 bis 10?) hatten, wie die anderen Tintenfischartigen zu jener Zeit. Der Grund für diese Annahme wird beim Abschnitt Aptychen näher erklärt.
Es würden dann zwei lange Arme reichen, um in der Strömung nach Nahrung zu angeln oder zwischen Pflanzen und Spalten nach Fressbarem zu tasten, wobei die kleinen Tentakeln dann bestenfalls nur zum Festhalten der Beute dienen könnten.

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Variante 2: Kopf mit Armschirmhaut.

Dieser Kopf entstand vor dem „Spirula – Kopf – Modell“ und orientiert sich an einigen heute lebenden Kopffüßern, die eine dünne Haut zwischen den Armen gespannt haben. Aufgrund der Erkenntnisse aus neuerer Zeit über die Verwandschaftsbeziehungen der Spiruliden zu den Ammoniten sind wir uns jedoch nicht mehr sicher, ob unser “Armschirmhaut-Modell“ die alleinig richtige Option ist. Von den Fundbelegen her würde nämlich dieses Modell hier eher in Frage kommen. Der Fangtrichter des  “Armschirmhaut-Modelles“  ist nämlich bei den ohrentragenden Männchen ziemlich eingeschränkt, weil sich der Fangtrichter nicht seitlich ausdehnen kann. Da Ammoniten sich hauptsächlich von Kleinstnahrung ernährt haben (besonders in der Ammonitella-Phase), erscheint nämlich obiges „Spiruliden-Modell“ eher logisch zu sein.

Castor würde mit Fangtrichter und integriertem Aptychus so aussehen:
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Aptychen

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3,7 cm langes Vergleichsexemplar eines Lamellaptychus aus Langenaltheim bei Solnhofen (Malm zeta 3).

Aptychen sind ein großer Streitpunkt der Gelehrten. Die einen sind der Meinung, dass es sich bei den sogenannten Aptychen um einen Deckel (Operculum) handelt, der wie beim Nautilus auf dem Kopf getragen wurde und bei Gefahr automatisch beim Einziehen des Kopfes die Schalenmündung verschloss. Andere sind der Meinung, es handedle sich beim Aptychus um den Ammonitenunterkiefer.

Man ist durch Fossilbelege heute meist der Überzeugung, dass die Aptychen zum Kieferapparat gehörten bzw. sich aus dem ehemaligen Unterkiefern entwickelt haben, nachdem der Kieferapparat seine Funktion als solche verloren hat. Die Annahme, dass die Aptychen als echte Unterkiefer anzusehen sind, wie es von vielen Experten vehement behauptet wurde bzw. wird, erscheint aber unlogisch. Wie soll schon ein derart großer Kieferapparat funktionieren, der als Teil der sogenannten Buccalkapsel ja noch nicht einmal in seine Wohnkammer passen würde. Und bräuchte man dann nicht auch einen entsprechend großen Oberkiefer aus dem selben Material? Er taugte in seiner Beschaffenheit in keiner Weise mehr als Kauwerkzeug, er ist zu dünn und nicht fest genug. Es sind  auch keine Abnutzungsspuren durch Kaubelastung bekannt. Betrachtet man sich die Aptychen die mit Ammoniten zusammen gefunden werden genauer, erkennt man, dass die Aptychen in Größe und Form der Schalenmündung entsprechen. Nach dem Formfunktionsgesetz: Die Funktion eines „Werkzeugs“ bestimmt dessen Form, würde das für die Deckelfunktion sprechen.
Auch die Reste von Farbpigmenten, die auf Aptychen gefunden wurden (strittig), widersprechen einem im Körperinneren liegenden Aptychus, die Tarnmusterung würde nur Sinn machen, wenn sie auch sichtbar war.

Das alles würde also wieder für die Deckelfunktion sprechen.

Das Modell ist nun so gestaltet, dass der Aptychus als eine Weiterentwicklung eines Teils des Unterkiefers zu sehen ist, dann wäre es möglich, dass der Aptychus mit den Armen nach vorne aus der Schalenmündung ragt. Bei Gefahr würde der Kopf in die Schale gezogen und die Arme eingefaltet. Dabei würde der mit den Armen verbundene Aptychus, ähnlich einer Zugbrücke, automatisch hochgeklappt und verschließt so die Schalenmündung. Eine geringe Anzahl von kurzen Armen, etwa 8 bis 10,  ist hier sinnvoll, da sie nur wenig Platz zwischen Kopf und Aptychus beanspruchen, wenn der Aptychus die Schalenmündung verschließt.


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Aptychus und Trichter von unten.

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Seitenansicht des Aptychus.

Ein so weit aus der Schale ragender Deckel erscheint natürlich recht sperrig und teilweise hinderlich bei der Jagd, aber es gab ihn nun mal. Allerdings waren Ammoniten keine großen Jäger, wie wir von den fossilen Mageninhalten mit Resten von Kleinstnahrungspartikeln her wissen. Wenn man dann noch über den rezenten Nautilus erfährt, dass er aufgrund seines reduzierten Stoffwechsels (langsame Bewegungen im kalten Tiefwasserbereich) nur einmal im Monat zu fressen braucht, dann darf man sich auch keinen ständig hungrigen und jagenden Ammoniten vorstellen.

Durch das Beuteschema der Ammoniten (Aas, Kleinkrebse, kleine Ammoniten, kleine Seelilien, Kleinstlebewesen) war schnelles Schwimmen auch nicht notwendig und mit dem hydrostatischen Apparat auf dem Buckel ohnehin nicht möglich.

Wir haben bei unserem Modell den Aptychus nun so platziert, dass er etwa zu einem Viertel in einer Tasche über dem Trichter verschwindet, so ist er weniger sperrig und bietet den Fangarmen mehr Platz. Ich muss aber betonen, dass wir zwar in Anlehnung an die Lehre des Prof. LEHMANN auch davon ausgehen, dass der Aptychus aus dem einstigen Unterkiefer hervorgegangen ist, aber der Aptychus als ehemaliger Unterkiefer jegliche Beißfunktion eingebüßt hat. Wir lehnen auch eine häufig zitierte Doppelfunktion (Kiefer/Deckel) ab.


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Aptychus mit Hauttasche.

Es ist auch bekannt, dass Aptychen manchmal regenerierte Verletzungen aufweisen. Solche Verletzungen dürften auf  Krebse zurückzuführen sein, die versuchten, mittels ihrer Scheren an die Weichteile heranzukommen.
Ein ins Körperinnere zurückgefahrener Aptychus als reiner Unterkiefer würde kaum solche Verletzungen aufweisen. Es soll an dieser Stelle auch erwähnt werden, dass bisweilen sogenannte rudimentären Oberkiefer gefunden werden, die aber keine Paßform als oberes Gegenstück zum Unterkiefer aufweisen und daher als Teil eines funktionsfähigen Kieferapparates kaum getaugt hätten.

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Farben

Bei einigen wenigen fossilen Arten sind Farbpigmente als radiale Bänder und Streifenmuster auf den Gehäusen erhalten. Insgesamt ist aber nur sehr wenig über Farben und Muster bekannt.
Farben dienen entweder zur Tarnung, zur Balz oder als Signal für Giftigkeit. Giftigkeit fällt sicher weg, da die Schale den Tieren genug Schutz bot und sie sich nicht mit Gift verteidigen mußten. Da sie Allesfresser waren, fällt Gift zum Jagen ohnehin weg.
Durch das Periostrakum (eine fester organischer Überzug der Kalkschale) ergeben sich mehr Farbmöglichkeiten als bei Muscheln und Schnecken ohne Periostrakum,  welche die Pigmente dauerhaft in der Kalkschale einlagern müssen. Das organische Periostrakum erlaubt eine differenzierte und veränderbare Farbgestaltung.
Die Farben richten sich beim Tarnen grundsätzlich nach der Umgebung. Die Frage ist nun, wie man etwas tarnt, das frei in der Wassersäule schwebt. Die meisten marinen Tiere sind von oben gesehen dunkel wenn sie frei schwimmen (Haie, Rochen usw.) wodurch sie von oben schlechter zu sehn sind. Von unten sind sie hell, fast weiß. Dadurch fallen sie von unten gesehen weniger vor der hellen Wasseroberfläche auf. Der Nautilus wird gerne als Beispiel für Farbmuster herangezogen. Theoretisch waren Farben und Muster bei den Ammoniten sicher ähnlich wie bei heutigen Fischen und es sind eigentlich keine Grenzen gesetzt. Alle möglichen und unmöglichen Farben hätten als Tarnfarben dienen können. Sie hätten jedoch die Konturen etwas auflösen müssen, damit Freßfeinde irritiert werden.
Das Prinzip von oben dunkel und von unten hell kommt daher auch bei unserem Modell zum tragen.

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Diese Fotos entsprechen (je nach Bildschimauflösung) in etwa der Originalgröße eines ausgewachsenen Kosmoceras castor mit bis zu 6 cm Ø. Die Farben und Muster sollten vor dem entsprechenden Hintergrund gut als Tarnung wirken können.

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Ohren (Apophysen oder Lappets)

Da Ohren nur bei Mikroconchen (also Männchen) auftreten, muss ein tieferer Sinn dahinter stecken, über den aber bislang nur spekuliert werden kann. Man denkt dabei an einen Schutz gegen das viel größere Weibchen, denn schnell wäre ein liebestolles Männchen vom Weibchen einfach ausgelutscht worden.
Da die Ammoniten die großen Ohren und die sich dadurch ergebende Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Fangarme sowie eine eingeschränkte Sicht in Kauf nahmen, vor allem bei manchmal sehr voluminösen Ohren (z.B. Normannites, Otoites, Lithacoceras und viele andere), scheinen diese Apophysen den Männchen sehr wichtig gewesen zu sein.
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Ø 5,8 cm, länge der Apophyse etwa 2 cm.

Kosmoceras castor ist leicht mit anderen Arten wie z.B. K. jason zu verwechseln. Sie lassen sich aber dann leicht auseinanderhalten, wenn man das Glück hat, Ohren-Exemplare zu finden. Beim K. castor sind Apophysen geradgestreckt, beim K. jason leicht geschwungen.

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Foto der Apophyse am Modell.

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Stacheln

Bei Pyritsteinkernen sind Stacheln vom K. castor nicht erhalten, bei den plattgedrückten Exemplaren hingegen sind sie mit etwas Glück gut erkennbar. Die Stacheln auf den Flanken sind bei den plattgedrückten Exemplaren ebenfalls nicht erhalten aber durch die Größe der Stachelansätze (Knoten) auf den Pyritsteinkernen kann man auf die Ausmaße der Stachen schließen.

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Pyritsteinkern (Ø  2,5 cm) mit deutlich sichtbaren Knoten auf den Flanken.

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Exemplar mit wenigen erhaltenen Stacheln, Ø 1,6 cm.

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Vermutlich kein K. castor. Die Stacheln sind nicht, wie beim vorherigen Bild, in Richtung der Schalenmündung geneigt sondern eher entgegengesetzt,  Ø 4,5 cm.


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Stachelschutz

Ein Problem stellen noch die Stacheln wie z.B. bei den Kosmoceraten dar, die am Ende der ersten Windung doch recht weit in die Wohnkammer hineinragen und zu eigenen Verletzungen führen könnten. Es wäre daher denkbar, dass das Tier zum Selbstschutz die Stacheln bei der Wohnkammer mit einer schwammigen, organischen Schicht ummantelte, die sich beim Septenbau schnell am hinteren Ende der Wohnkammer wieder abbauen ließe und weiter vorne wieder platziert werden konnte.


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Stachelschutz/Gleitfläche.
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Augen

Auch über die Augen ist nichts bekannt, aber ausgehend davon, dass der Schalenaufbau der Ammoniten mit den Stacheln, Rippen und aufwendigen Septenstrukturen sehr viel komplizierter ist als bei dem doch eher primitiven Nautilus.
Nautilus lebte und lebt in ständig dunklen Wassertiefen. Ammoniten hingegen lebten entweder in heller Riffnähe oder in lichtdurchfluteten Wassertiefen bis maximal 150 Meter.
Kopffüßer in lichtlosen Wassertiefen tragen ein sogenanntes Lochkamera-Auge (ein großes rundes dunkles Auge ohne erkennbarer Pupille).
Kopffüßer in lichtdurchflutetem Wasser benötigen eher ein sphärisches Linsenauge.
Wir wählten daher die ovale Augenform, wie sie besonders bei der rezenten Sepia entwickelt ist, denn Sepia lebt in vergleichbaren Wassertiefen, wie wir es von den Ammoniten annehmen.


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Dies alles ist nur ein kleiner Einblick in das komplexe Thema über das Aussehen der Ammoniten.

Mir ist schon klar, dass man beim Ammonitenmodell die Perfektion eines echten Ammoniten nicht erreichen kann und dass am Ende doch alles nur Spekulation ist. Deshalb bleiben unsere Modelle letztlich auch nur eine theoretisch mögliche Variante, die sich allerdings an den Fundbelegen von über 100 Jahren orientierte. Die Erdzeitalter haben über einen fast unendlich langen Zeitraum so viele und ungewöhnliche Ammoniten hervorgebracht, dass sich sicherlich auch die Anatomie des Weichkörpers in mehrere Richtungen entwickelt hat, wie es ja auch bei den Schalen der Fall war.
Die Faszination bei der Ammonitenjagd bleibt uns dennoch erhalten, auch wenn das letzte Geheimnis des Ammonitentieres immer noch nicht endgültig gelüftet ist.

Leif Beckmann